Was die vergangene Hexennacht mit Guerilla Marketing zu tun hat

Ich bin noch mitten drin im Thema, sehe die letzten Sätze vor Augen.

Und dann, kaum habe ich den Entwurf für den Gastartikel über genau dieses Thema versendet, meinen Laptop zugeklappt und radele los, um Töchterchen vom Kindergarten abzuholen, sehe ich es: vorm Bürgerhaus, auf der Bank bei der „Schwätz-Ecke“ und dann auch noch weiter oben am Ortsausgang von Fulda-Sickels.

Es ist quasi die reinste Form von Guerilla Marketing. Ich bin verblüfft und muss schmunzeln. Genauso will es das Guerilla Marketing: auf unkonventionelle Art auffallen und auf etwas aufmerksam machen.

Die Wortschöpfung stammt vom amerikanischen Unternehmensberater Jay C. Levinson, der in den 1980er Jahren sein erstes Guerilla-Marketing-Handbuch herausbrachte. Darin empfahl er vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen, mit ungewöhnlichen Vermarktungsaktionen auf sich aufmerksam zu machen – und das mit möglichst geringem finanziellem Aufwand.

Was ich da also heute gesehen habe, war genau das. Es hing zweimal am Baum, saß einmal auf der Sitzbank und schaute mich an: Eine Hexe mit Umhang, bunt geringelten Strümpfen, spitzen Schuhen, Hut, Besen und leeren Schnapsflaschen in der Hand bzw. einer zerbrochenen Flasche unterm Schuh. Davor jeweils ein Schild mit der Aufschrift: „Don’t drink and fly!“

Wer auch immer hinter dieser Inszenierung steht, hat viel Liebe ins Detail gesteckt und die Hexen jeweils an öffentlich sichtbaren Stellen positioniert. Das ist genau die Idee hinter Ambient Marketing, einem Teilbereich des Guerilla Marketing. Werbeaktionen werden in der „normalen“ Umgebung der Zielgruppe durchgeführt (engl. ambient = Umgebung), an öffentlichen Plätzen, wo viele Menschen vorbeifahren oder -gehen.

Diese Aktion aus jener Nacht soll wohl allen (Hexen) ins Gewissen rufen, nicht alkoholisiert zu fahren, *räusper* zu fliegen, ansonsten landen sie am Baum.

Ok, ich gebe zu, normalerweise geht es beim Guerilla Marketing auch darum, die eigene Marke zu stärken, also ordentliches Selbstmarketing zu betreiben. Der hiesige Hexenbauer möchte aber offenbar nicht erkannt sein. Es geht ihm oder ihr eher um die Sache. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich jemand solche Mühe macht, ohne etwas dafür zurückzubekommen.

Naja, ein wenig mediale Aufmerksamkeit ist ja schon eine ganze Menge. Zumindest in der lokalen Presse wurden Fotos der angeheiterten bzw. am Baum klebenden Hexe veröffentlicht. Was sehe ich in der Bildergalerie der Osthessen-News? Eine weitere Hexe, allerdings nur die Beine sichtbar, die Jack Daniel’s Flasche kopfüber daneben. Nur ca. 1 km von mir entfernt.

"Hexe kopfüber" | Quelle: OsthessenNews

Übrigens, ist dir Hexennacht ein Begriff? In der Nacht auf den 1. Mai, auch Walpurgisnacht genannt, wird in der Region Fulda kein Maifeuer angezündet, sondern gehext. Meist sind es Kinder und Jugendliche, die in der Dunkelheit durch die Straßen ziehen und alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wegtragen, stapeln, mit Klopapier verzieren, anmalen oder was auch immer. Offenbar hat sich dieser Brauch erst in den 1970er Jahren aus der süddeutschen Freinacht entwickelt, wie die Fuldaer Zeitung in „Hexennacht naht: Woher kommt der Brauch mit den Streichen?“ recherchiert hat.

Zwar gibt es immer wieder unschöne Sachbeschädigungen, aber von der Sache her ist dieser Brauch eine gute Gelegenheit, um mal ganz kreativ zu werden, einen Plan mit seinen Freunden zu schmieden oder einfach nur spontan Schabernack zu treiben und Spaß zu haben.

Die Hexen in Sickels sind ein Sinnbild für eine gelungene Hexerei – ob Guerilla Marketing oder nicht!

In diesem Sinne – einfach textgenial!